Mittwoch, den 10. Juli
Start gegen 10 Uhr von der freundlichen Übernachtungsstätte Havdal - mit 2/3 loser Bikesohle, das Klebemanöver hat nicht gehalten. Draußen rund 10° - das fühlt sich einfach kalt an für 3/4 Bikehose, Sommerschuhe und Handschuhe ohne Finger. Dafür zeigt sich die Strecke von der schönsten Seite. Hoch über dem Fluß Orkla über gut fahrbare Forstwege schlängelt sich die Strecke runter bis zum Fluß um sich in Kehren wieder hoch zu schrauben.
Die Karten die ich jetzt dabei habe, zeigen den weiteren Pilgerpfad bis vor Meldal auf der Westseite des Flusses; mein GPS File verläuft auf der östlichen Seite - ich fahre lieber dem GPS nach, das fährt sich wesentlich einfacher als dauernd nach den Wegmarkierungen Ausschau zu halten.
In Meldal soll man die Kirche besuchen, schreibt mein Pilgerführer - mache ich das doch. Ein Infoblatt lehrt mich, dass die alte Kirche von 1651 im Juni 1981 bis auf die Grundmauern niedergebrannte. Weiter erfahre ich, dass es eine heiße Diskussion gab, wie sie wieder neu entstehen sollte: Es gab Stimmen, die wollten eine komplett andere moderne Bauweise, andere eine möglichst genau Kopie der abgebrannten. Letztere haben sich durchgesetzt und meiner Meinung nach war das gut so: Eine wirklich schöne Kirche aus Holz, wie meist in knalligem Rot gestrichen und in dem es auch wieder die Möglichkeit gibt, die Gewehre im Vorraum abzulegen bevor man den Bereich betritt wo der Gottesdienst stattfindet. Heute hängen da eher Mäntel oder was anderes oder vielleicht die Sünden die noch nicht abgearbeitet worden sind. Meine könnte ich da auch liegen lassen, wenn das so einfach gehen würde.
Jetzt geht es wieder rauf, ein Stück auf die Hochebene, alles ganz moderat, bis nach Lokken. Mein morgendlicher Plan war hier zu Enden. Aber irgendwie war ich nach den lockeren 53 km noch überhaupt nicht fertig mit dem Tag. Vor allem deshalb nicht, weil ich mit einer schwierigen Entscheidung schwanger gehe. Im weiteren Verlauf gibt es eine Stelle, die mein Ratgeber mir empfohlen hat zu umfahren. Allerdings bedeutet das einen enormen Umweg - und Umwege hasse ich nun mal grundsätzlich. So wie ich bin, gehe ich Ziele und auch Unwägbarkeiten frontal an ich will wissen was dabei passiert. So bin ich in dem Lokken klar, da bleibe ich nicht, ich will näher zu der Stelle, wo morgen die Schwierigkeiten auftauchen werden. Bis dahin sind es noch ca. 15 km, kurz davor gibt es eine Unterkunft. Beschrieben von dem Pilgerführer als Vereinshaus mit Betten und Selbstverpflegung. Das ist nicht mein Favorit aber in Abwägung aller Umstände will ich da jetzt durch. Das Minenmuseeum in Lokken bietet ein ¨Touristinfo¨. Vielleicht kann ich da mehr erfahren über die schwierige Passage und über dieses Clubheim.
Rein, die Dame weiß so gut wie nichts, der Kollege der dazu kommt noch weniger. Die Dame kann ich dazu bewegen, die angegeben Tel. Nr. des Clubheims anzurufen, vielleicht ist da mehr zu erfahren, dann das befindet sich nahe an der besagten schwierigen Stelle. Sie erreicht jemanden nur das gibt auch nicht viel her. Null Bewirtschaftung bietet das Clubheim, muss also was Einkaufen. Da wird heute der Schmalhans wohl Küchenmeister spielen: Spaghetti, Dose Corned Beef, Äpfel, Bananen, 2 Brötchen. Das muss reichen, denn nach der schwiereigen Stelle kommt ein schöner Ort mit Namen Skaun. Laut Pilgerführer sind es von dem Clubhaus bis dahin 21 km.
Das Clubhaus erweist sich als unmöglicher Platz. Ein Schützenverein pflegt hier seine Gelage abzuhalten. Ein Riesenraum, irgendwelche Drahtgestelle als Feldbetten, alles, die ganze Atmospäre ekelig. Früher wäre ich um diese Uhrzeit - es war erst 16 Uhr als ich bei dem Clubhaus ankam - weitergefahren - heute bin ich klüger, älter, vorsichtiger. Habe ich was gelernt? Gehe ich behutsamer mit mir um??
Egal, wie dem auch sei. Auf dem Weg zu dem Clubhaus hatte ich 2 km vorher eine Farm gesehen, die Zimmer anbot. Der Farmer kam gerade als ich da stand aus dem Haus, einen Weg entlang um den Briefkasten zu leeren, allerdings ohne mich eines Blickes zu würdigen. Stiesel gehts mir durch den Kopf. Ich spreche ihn an als er mit dem Leeren fertig ist. Ja, Schlafplätze hat er, gute Betten und warm ist es auch. Das geht mir durch den Kopf als ich in dem ekligen Clubheim stehe.
Also dahin zurück. Die Herberge besteht aus einer kleinen Hütte (ehemaliger Stall) vor dem Haupthaus und entpuppt sich als feinstes Kleinod: Alles neu, tolle Küche und in dem ehemaligen oberen Teil des Heuschobers 6 feine Betten. Okay, es gibt keinen weiteren Service, aber dafür habe ich ja meinen Einkauf.
Das wird mein Platz für die Nacht vor der ungewissen Moorüberquerung. Dann hilft mir der "Stiesel" noch den Schuh zu reparieren. Ich bitte ihn um einen Bohrer und Schraube mit Mutter um die Sohle an der weiteren Ablösung von dem noch festen Teil zu hindern. Er bringt mir alles hilft dabei und die Reparatur gelingt - wenigstens theoretisch. Der praktische Test kommt morgen, wenn ich einige km mein Bike schieben muss....innerlich habe ich schon beschlossen, den Umweg nicht zu nehmen sondern die 3 km durch das Moor zu waten...
Okay, jetzt muss ich kochen, erheblicher Hunger schreit nach Füllung: Spaghetti mit Corned Beef - werd's schon irgendwie überleben....
Daten heute: 65,3 km, 628 Hm, 3:55 Fahrzeit, Schnitt 17,1
Hier eine wunderbare Erklärung warum ich Reise:
Das ist eben das Wunderbare, wenn man in die Welt geht - jede Beeinflussung durch Menschen, mit denen man zufällig daheim zusammenleben muss, hört auf. Man muss mit seinen eigenen Augen sehen und selbstständig denken. Wir lernen begreifen, dass es ganz von uns selbst abhängt, was diese Reise uns gibt - und was sehen und zu erfassen vermögen, in welche Lage wir uns bringen und unter wessen Einfluss wir uns freiwillig begeben. Man lernt dabei dass es von einem selbst abhängt wie viel das Leben uns entgegen bringt.